Potsdamer Hütte
(2020 m)
Ein verstecktes Juwel in den Sellrainer Alpen
Der frühe Vogel...
Es ist halb fünf Uhr morgens und der Wecker klingelt. Für einen kurzen Moment überlege ich doch liegen zu bleiben und beneide diejenigen, die heute erst um 8 Uhr im Büro sein müssen. Ich bin gestern erst spät aus den Bergen zurückgekommen, doch der einzige Zug, der mich noch vor der Mittagssonne ins Sellrain bringt, fährt heute um 5:18 Uhr vom Münchener Ostbahnhof.
Eine super Yogalehrerin und liebe Freundin
In zwei Wochen findet mein zweites Wandern & Yoga Retreat auf der Potsdamer Hütte in den Sellrainer Alpen hinter Innsbruck mit meiner lieben Yogalehrerin und Freundin, Mie, aus Bonn statt und ich möchte noch einmal die Wege abgehen, die besten Yoga-Spots auskundschaften und letzte Einzelheiten mit dem Hüttenteam besprechen. Vor allem möchte ich ein paar Tage allein in den Bergen verbringen und über die letzten vier Monate meiner Selbstständigkeit nachdenken.
Was ist Erfolg?
Ich kann es kaum glauben, dass es erst siebzehn Wochen sind, seitdem ich meinen Bürojob an den Nagel gehängt und mich vollends in die Selbstständigkeit gestürzt habe. Gucke ich nach vorne sehe ich einen Berg an Arbeit und Verbesserungsmöglichkeiten, gucke ich zurück, wundere ich mich, wie ich all das in so kurzer Zeit erlebt und auf die Beine gestellt habe. Die ersten Wochen habe ich mich wie im Überlebungsmodus gefühlt, absolut überfordert und von der Angst getrieben zu versagen, und den Erwartungen des Umfelds nicht gerecht zu werden. Die Fragen „Wie viele haben sich denn schon angemeldet für die Tour?“, „Läuft das denn gut?“ und „Kann man davon überhaupt leben?“ haben mich von einer Schaffenskrise in die nächste getrieben. Auf einmal war ich mir selbst nicht mehr ganz sicher, ob Shanti Treks erfolgreich sein kann.
Nach zwei Zügen und einem Bus komme ich kurz nach neun im Sellrain an. Von der Bushaltestelle nimmt mich ein nettes italienisches Ehepaar bis zum Wanderparkplatz der Potsdamer Hütte mit und nun laufe ich den kleinen Wanderweg zum Schaflegerkogel hoch. Anfangs fühlen sich meine Beine noch etwas steif an, aber ich weiß, spätestens nach den ersten zwanzig Minuten bergauf verfalle ich in den üblichen Trott und der Körper arbeitet wie von allein. Mein Tempo hat sich mittlerweile eingespielt. Ohne es zu merken bin ich in den letzten Monaten um ein Vielfaches schneller geworden, habe Gewicht verloren und Muskeln aufgebaut. Erst neulich ist mir aufgefallen, dass ich seit mittlerweile über zwei Jahren nicht mehr krank war. Und morgens, wenn ich in den Spiegel gucke, finde ich mich schön. Das ist es, was die Berge mit Dir machen – sie machen dich gesund und schön.
Sich Zeit lassen
Es ist das erste Mal dieses Jahr, dass ich allein in den Alpen unterwegs bin, und ich werde wieder daran erinnert warum ich alles über den Haufen geworfen, und mit Shanti Treks komplett neu angefangen habe. Oben auf dem Schaflegerkogel angekommen, bin ich ganz allein, nur eine Trailrunnerin kommt kurz vorbei, macht ein paar Fotos und ist schon wieder weg. Ich lege mich erstmal ins Gras und hole etwas Schlaf nach, während die Glocken der grasenden Kühe im Tal läuten. Neben dem Gipfelkreuz ist eine kleine Grasfläche, auf der ich meine Yogamatte ausbreite. Hat mir das Wandern in den letzten Jahren den Kopf frei geblasen, so haben mich meine regelmäßigen Yogastunden bei Mie in Bonn geerdet. In den Bergen oder auf der Yogamatte gehen meine Probleme nicht weg, aber sie scheinen immer kleiner und unbedeutender als zuvor.
Die Berge heilen
So sind meine Touren auch jetzt immer noch nicht ausgebucht, aber ich habe keine Angst mehr zu versagen oder Erwartungen nicht gerecht zu werden, die am Ende eigentlich niemand hat. Meist sind die Menschen einfach nur neugierig, wie es eben läuft mit der Selbstständigkeit. Ich weiß mittlerweile, dass ich erfolgreich bin, weil ich glücklich und gesund bin, mich selbst schön finde und das, was ich tue mit vollen Zügen genieße. Weil jeder Tag ein kleines Abenteuer ist, weil ich genau das mache, was ich so sehr liebe und weil ich jeden Tag ganz bewusst erlebe und nicht mehr darauf warte, dass endlich Wochenende ist. Nicht viel hat sich geändert, nur meine Einstellung dazu und ich weiß, ich habs den Bergen zu verdanken. Ich weiß nicht, wie sie es machen, aber die Berge sind seit Jahrzehnten der Ort an dem ich gesunde – körperlich und auch geistig. Der Ort, an den ich immer wieder zurückkehre, um die Balance wiederzufinden, die man im Tal so leicht verliert. Und das ist es, was ich an meine Gäste weitergeben möchte.
Ich lasse mir Zeit im Abstieg, halte immer wieder an, genieße den tollen Weitblick über die Stubaier Alpen und komme erst am Nachmittag an der Potsdamer Hütte an. Dort werde ich herzlich vom Hüttenpaar, Sven und Ira, empfangen. Letztes Jahr war ich zum ersten Mal auf der Potsdamer Hütte, als Etappe des Sellrainer Höhenwegs. Schon damals habe ich mich in die kleine Hütte am Ende des Fotschertal verliebt. Lediglich 40 Betten hat die Hütte, ist jedoch nach einem Brand vor sechs Jahren komplett saniert und mit Wasserkraftwerk nachhaltig aufgestellt. Auf der Speisekarte sticht, neben der Zirben-Limo und dem Zirben-Spritz, das Zirben-Radler ins Auge, welches ich auf der Sonnenterasse genieße, während Sven und ich ein paar Einzelheiten für das Retreat besprechen.
Eine gemütliche Hütte
Geschlafen wird in Mehrbettzimmern, die wir nur in unserer Gruppe teilen. Diese sind in der Potsdamer Hütte groß, geräumig und schön hell und liegen im ersten Stock. Im Erdgeschoß gibt’s Toiletten, die Küche und die gemütliche Stube mit Holzofen, wo morgens und abends gemeinsam gegessen wird. Bei so wenig Gästen kommt man schnell ins Gespräch und auch ich habe in diesen Tagen wieder ein paar nette Bekanntschaften gemacht. Im Keller sind die modernen Waschmöglichkeiten inklusive heißer Dusche. Für die Mutigen unter uns, gibt es eine Abkühlung im Bach neben der Hütte.
Köstliches Essen
Sven kocht selbst auf der Hütte und Ira backt herrlich leckere Kuchen. Abends überzeugt mich das vegetarische Blumenkohl-Curry und der Spaghetti-Eis-Kuchen zum Nachtisch.
Aus der Region und selbstgemacht
Zum Frühstück gibt es selbstgemachtes Brot, Marmelade und vegane Aufstriche. Die Butter kommt direkt von den Kühen, die um die Hütten grasen. Und Müsli genießt man entweder mit frischen Joghurt vom Hoisenhof im Tal oder mit Hafermilch. Vegetarische und vegane Speisen gehören auf der Potsdamer Hütte mittlerweile zum Inventar.
Yoga am Morgen
Ich ziehe mich schon früh zurück, da ich am nächsten Tag vorhabe die beiden anderen Tageswanderungen unseres Retreats abzulaufen. Dennoch lasse ich es mir nicht nehmen den Tag ganz in Ruhe hinter der Hütte zu beginnen und meine allmorgendliche Yoga-Stunde zu zelebrieren. Es ist wahrhaftig ein Fest mit Blick auf die umliegende Bergkulisse im frühen Morgentau die noch etwas steifen Glieder zu strecken und mich im Stillen auf den Tag zu freuen.
Wildkopf
Nach dem Frühstück laufe ich zunächst weiter ins Fotschertal hinein zur Wildkopfscharte. Im Aufstieg überholt mich ein Hirte, der seine Ziegen vom Berg holt. Eine wahrliche Schau, wie allein durch sein Rufen, nicht nur die Ziegen, sondern auch die Kühe und Schafe von den Hängen zu ihm herabsteigen. Auch oben auf der Scharte begegne ich einer Herde Schafe, nur Menschen sind weit und breit nicht zu sehen. Und wieder einmal fühle ich mich in der Einsamkeit ganz reich.
Roter Kogel
Zurück an der Hütte fülle ich mein Wasser nochmal auf, bevor ich weiter zum Roten Kogel gehe. Von der Hütte führt der Weg auf eine Hochebene mit unzähligen Seen an denen Schafe, Kühe und eine Herde Haflinger grasen. Auf den letzten Metern begegnen mir dann doch noch ein paar Menschen, die auf dem Sellrainer Höhen weg von der anderen Seite zum Gipfel aufgestiegen sind. Im Abstieg habe ich gerade noch genug Zeit, um an einem der Seen etwas Yoga zu machen, zu schwimmen und noch rechtzeitig auf der Hütte anzukommen, bevor die Küche am Nachmittag für ein paar Stunden schließt, um das Abendessen vorzubereiten. Bei bestem Kaspressknödel auf Salat und einem weiteren Zirben-Radler lasse ich die zwei Tage Revue passieren.
Ein langer Weg nach Hause
Um den langen Weg zurück ins Tal komme ich nicht herum und auf dem Wanderparkplatz steht um diese Zeit auch kein Auto mehr, sodass ich die komplette Strecke nach Sellrain zu Fuß gehe. Nach knapp dreißig Kilometern und viertausend Höhenmetern im Auf- und Abstieg bin ich herzlich bedient und falle nach sechzehn Stunden auf den Beinen ziemlich müde und selig in mein Bett. Der nächste Zug in die Berge geht am Morgen zum Glück erst um halb neun.