Sonnenaufgang
am
Bodenschneid
1669 m

Ein Moment nur für mich

Meine Uhr vibriert um 6:50 Uhr, aber es dauert noch zehn Minuten, bis ich mich aus meinem Hüttenschlafsack und den drei Decken schäle, unter denen ich mollig warm geschlafen habe. Für mich ist jedes Mal aufs Neue ein kleiner innerer Kampf im warmen Bett zu bleiben oder doch aufzustehen. Am Ende überwiegt aber die Gewissheit, dass sich das frühe Aufstehen mehr als lohnen wird. Meinen Rucksack habe ich bereits am Abend zuvor gepackt, sodass ich mich nur aus dem Zimmer zu schleichen brauche und im geheizten Waschraum anziehe. Kurz hatte ich gestern abend überlegt, ob ich Jakob frage, mitzukommen. Am Ende sehne ich mich jedoch nach dem Momment allein am Berg, der ganz allein mir gehört. Das Gefühl der vollkommenen Ruhe und Freiheit, wonach ich mich schon seit längerem sehne.

Ich bin noch nicht ganz wach, als ich über den vereisten Vorplatz der Hütte schlittere, und meine Beine fühlen sich noch ein wenig an wie Pudding. Mit den Schneeschuhen unter den Füßen finde ich zum gleichmäßigen Knirschen im Schnee jeodch schnell meinen Rhythmus. Es ist noch eine gute halbe Stunde bis Sonnenaufgang, gerade genug Zeit um die eineinhalb Kilometer und 300 Höhenmeter bis zum Gipfel zu erklimmen. Von der Hütte ist es ein steiler Anstieg über einen Hang. Leider hat niemand eine schöne Spur gelegt, als der Neuschnee vor ein paar Wochen fiel, jetzt ist der Schnee zu hart, um das nachzuholen. So wird mir schnell war auf der Diretissima und die Daunenjacke ist im Rucksack für den Gipfel gut aufgehoben. Am Horizont färbt sich der Himmel langsam rot und es ist bereits hell genug ohne Stirnlampe zu gehen. In der Stille höre ich nur meinen Atem und das gleichmäßige Knirschen des Schnees, sodass ich schnell vorankomme und bald auf dem Sattel unterhalb des Gipfels stehe.

Am Sattel ziehe ich meine Schneeschuhe aus und ziehe mir stattdessen Grödeln an. Der Sommerweg geht direkt über den Grad, was durch den Schnee und das Feldgelände im Winter nicht möglich ist. Daher folge ich einer Spur, die rechts am Grat durch steiles Waldgelände und Latschen führt. Sicherlich kein Spaß für Ungeübte, jedoch kein Probleme für Erfahrene. Ich habe mir beim Aufstieg Zeit gelassen, die morgendliche Stimmung genossen und beobachtet, wie der Himmel langsam die Farben wechselt und ein neuer Tag anbricht. So komme ich gerade rechtzeitig am Gipfelplateau an, als die Sonne am Horizont über die Bergspitzen lugt und mit ihren warmen Strahlen die Bergwelt erwärmt. Ich stehe auf knapp 1700 Metern mit Blick auf den Tegernsee, das Bodenschneidhaus und die umliegenden Gipfel. In der klaren Wintersonne hat man im Süden sogar einen Blick bis auf den Großglockner und Großvenediger, den höchsten Gipfeln der österreichischen Alpen im Nationalpark Hohe Tauern. Hier oben und bei diesem Anblick empfinde ich einen inneren Frieden, der die Unruhe der letzten Wochen verdrängt und mir wieder Sicherheit gibt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.