Lizumer Hütte
2019 m



Tuxer Alpen
Tirol, Österreich

Du muasst schau’n, ob der Berg di mog!

Die Lizumer Hütte liegt in einem militärischen Sperrgebiet und ist vom Bahnhof Wattens nur über eine im Winter ungeräumte Passstraße zu erreichen. Zum Glück gibt es ein zuverlässiges Hüttentaxi, Schwanninger, welches einen in einer halben Stunde zum Parkplatz Lager Walchen und dem Start des Hüttenanstiegs bringt.

Uns hat an diesem sonnigen Tag ein Einheimischer etwas älteren Kalibers gefahren und nach ein paar einleitenden Floskeln über das Wetter begann für mich ein sehr nachhallendes Gespräch. Die Berge um uns herum kannte er in und auswendig und erzählte von Skitouren und Lawinenabgängen weit vor der Zeit von Lawinenlagebericht und LVS-Geräten. Ein Satz, der mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist, war „Du musst schau’n, ob der Berg di mog.“, woraufhin wir über das berühmte Bauchgefühl und Umkehren am Berg gesprochen haben. Ich habe beim Aufstieg zur Hütte länger über diese Satz nachgedacht und ihn in den darauffolgenden drei Tagen meines Grundkurses im Schneeschuhgehen einige Male vor den Teilnehmenden wiederholt. Mir hat der Taxler aus der Seele gesprochen und mich ein wenig mehr darin bestätigt, dass die Berge leben.

Genuss pur

Auf der Hütte wurden wir sehr herzlich von Hüttenwirt Tobias empfangen. Die Hütte war über das Wochenende komplett ausgebucht und sogar das Notlager war voll. Tobias und sein Team waren allerdings die Ruhe selbst und ich war beeindruckt vom reibungslosen Ablauf und der generell sehr guten Organisation der Hütte. Trotz mehr als 80 Gästen war das Essen fantastisch und wir wurden die drei Abende mit Kürbis-Risotto, Spinatknödeln und nepalesischen Curry verwöhnt. Ein Kaiserschmarrn zum Mittag durfte natürlich auch nicht fehlen!

Am liebsten auf Schneeschuhen

Die meisten Menschen am Berg sind im Winter auf Skiern unterwegs. Während ich das Ski fahren früher geliebt habe, habe ich meine Ski-Ausrüstung diesen Winter verkauft. Das alpine Skifahren habe ich schon vor ein paar Jahren aufgehört, da ich die künstliche Erzeugung von Schnee und das Bauen neuer Liftanlagen nicht mehr unterstützen möchte. Sicherlich hinterlässt man auch auf Schneeschuhen seinen ökologischen Fußabdruck am Berg, der jedoch wesentlich kleiner ausfällt, wenn man überall zu Fuß hingeht.

Auch dem Ski-Touren gehen ziehen ich das Schneeschuhgehen vor. Man ist langsamer am Berg unterwegs und kann daher viel mehr wahrnehmen. Außerdem ist man auf Schneeschuhen wendiger und kann sie abschnallen, wo kein Schnee liegt. Auch sulziger oder vereister Schnee zwischendrin nimmt einem nicht die Freude, sodass man von der Schneelage viel unabhängiger ist. Zudem ist das Gehen im flachen Gelände angenehmer, sodass man generell auf anderen Routen als die Skifahrenden unterwegs ist. Auf der ausgebuchten Lizumer Hütte habe ich neben unseren nur noch zwei weitere Schneeschuh-Paare im Trockenraum gezählt. Schneeschuhgehen ist bei weitem noch nicht so beliebt wie das Skitourengehen, sodass man bei richtiger Routenwahl meist alleine im Gelände unterwegs ist und genau darin liegt der Reiz.

Sicher unterwegs

Mit Taxifahrt, Aufstieg, Einchecken und Mittagessen auf der Hütte, bleibt uns am ersten Tag gerade noch genug Zeit, um verschiedene Gehtechniken im Gelände auszuprobieren und uns mit der Sendereichweite, sowie unterschiedlichen Störfaktoren der LVS-Geräte auseinanderzusetzen. Im unpräparierten Gelände ist ein Lawinenabgang ab einer Hangneigung von 30 Grad theoretisch jederzeit möglich. Für solch einen Fall muss man vorbereitet sein. Daher widmen wir uns am nächsten Morgen ausführlich mit der Lawinenverschüttetensuche (LVS). Die LVS-Geräte, welche man über einen Schultergurt am Körper trägt, senden Signale und können diese auch empfangen, sodass bei einer Lawine Verschüttete mit Hilfe der Signalsuche gefunden werden können. Das muss relativ schnell gehen, da unverletzte Verschüttete nach 15 Minuten noch eine 90%-ige Überlebenschance haben, danach sinkt die Chance rapide auf etwa 30%.  Das bedeutet, dass die Kamerad*innen-Rettung entscheidend ist und man nicht auf die per Notruf alarmierte Bergwacht warten kann. Nachdem der Ablauf auf den ersten Versuch etwas überwältigend erscheint, sind die Teilnehmenden am letzten Morgen bei erneuter Übung bereits recht sicher und finden die vergrabenen LVS-Geräte per Suchfunktion ihrer eigenen Geräte erfreuend schnell. 

Ohne Sicht - alles ganz in weiß

Sicherlich gehört die Lawinenverschütteten-Suche zu den wichtigsten und einprägsamsten Elementen eines Grundkurses im Schneeschuhgehen. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass die meisten Schneeschuhanfänger*innen sich am wohlsten im Gelände unterhalb einer Steilheit von 30 Grad wohlfühlen, wo Lawinenabgänge theoretisch nicht möglich sind, wenn man die Einzugsbereiche berücksichtigt. Daher lege ich besonderen Wert auf eine umfangreiche Tourenplanung zuhause, vor Ort und nochmals am Einzelhang. Um zu wissen, wo man im Gelände steht, ist mir auch wichtig, dass die Teilnehmenden sich im weglosen Gelände auch ohne GPS und Wander-App orientieren können. Letztendlich geht es mir darum, die Berge zu sehen, Veränderungen im Gelände, Schnee und Wetter wahrzunehmen und Gefahren zu erkennen. Das Gespür für die Umgebung führt letztendlich zu dem Bauchgefühl, was uns am Berg so oft beschützt.

So passt es ganz gut, dass wir auf dem Rückweg unserer ersten Tour gleich in einen komplettes White-Out kommen. Ich merke, wie sich die Wolken langsam verdichten und für einen kurzen Moment verlagert sich meine Aufmerksamkeit von der Gruppe ganz auf das, was um uns herum geschieht. Man sieht gerade noch ein paar Meter weit und alles um uns herum ist komplett weiß. Es bleibt jedoch windstill, sodass unsere Spuren im Schnee deutlich erkennbar bleiben. Auch das Bauchgefühl stimmt und ich entschließe mich die Tour weiterlaufen zu lassen, damit die Teilnehmenden diese Situation bewusst wahrnehmen, auch wenn sie auf dem Gipfel keinen Ausblick genießen können. Anders habe ich zwei Wochen vorher in einem Kurs entschieden, als ich mit den Teilnehmenden kurz vor dem Gipfel umgedreht bin. Die letzten zweihundert Höhenmeter gingen über einen Bergrücken über den ein immer stärker werdender Wind blies, am Horizont zogen sich dunkle Wolken zusammen und es fing an zu schneien. Im Wetterbericht war das so nicht vorhergesagt und innerhalb von Minuten war unsere Spur vom Schnee verwischt. Hier wollte mein Bauchgefühl die Verantwortung nicht weiter übernehmen und wir sind kurz vor dem Gipfel umgedreht. Immer wieder keine einfache Entscheidung, aber ich hatte das Gefühl an dem Tag mochte uns der Berg nicht.

Das Beste kommt zum Schluss

Unser letzter Tourentag hält dann mal wieder alles bereit. An diesem eiskalten Morgen mit kristallklarem blauen Himmel und der Mölser Sonnenspitze als schönes Gipfelziel laufe ich schweigend hinter meiner Gruppe her. Mittlerweile navigieren sie ohne Probleme selbst, sodass ich nur ab und zu ein paar Hinweise gebe und sonst frei meinen Gedanken hinterherhängen kann. Auf dem Sattel vor dem Gipfel entscheide wir uns spontan für die einfachere und den meisten Tourengehenden unbekannte Skispitze. Der Grat zur Sonnenspitze sieht nicht für alle in der Gruppe einladend aus und der rege Verkehr an Skitourengehenden schreckt auch den Rest von uns ein wenig ab. Die Skispitze hingegen lädt mit einem traumhaften Blick über schneeverschneite Gipfel zum Verweilen ein und so genießen wir hier unsere wohlverdiente Mittagspause. 

Auf ein baldiges Wiedersehen

Im Abstieg machen wir noch einen Abstecher zum Mölser See, wobei mir im unverspurten Gelände und ohne eine Menschenseele in Sicht zum letzten Mal in diesem Winter das Herz auf geht. Auf dem Weg zurück zur Hütte lasse ich die vergangenen drei Wochen voller geführter Touren und Kurse noch einmal Revue passieren und speichere all die kleinen Glücksmomente ab, die ich mir über die kommenden Woche immer wieder ins Gedächtnis holen werde. Im Stillen bedanke ich mich für eine weitere unfall- und verletzungsfreie Bergsaison und freue mich schon, wenn ich diese verschneite Region im August auf meiner geführten Alpenüberquerung ganz in Grün wiedersehen werde.