Bodenschneidhaus
1365 m



Tegernseer Alpen
Deutschland

Kurz nach Weihnachten

Es ist kurz nach Weihnachten, ich stapfe durch den Schnee, nach der nächsten Kurve müsste ich schon das Bodenschneidhaus sehen. Eine kleine Pause am Wegesrand mit Plätzchen aus meiner neuen Brotzeitbox lassen die letzten paar Höhenmeter dahin fliegen. Die meißten Menschen sitzen noch fröhlich unter dem Weihnachtsbaum, mich drängts aber raus in die Berge. Keine Woche ist es her, dass ich meinen Bürojob gekündigt habe. Was auf der einen Seite ein immenser Befreiungsschlag war, macht das Abenteuer Selbstständigkeit auf ein Mal besonders real und etwas bedrohlich. Ab Ende März kein geregeltes Einkommen und keine Sicherheit mehr. Der Gedanke ist nur bedingt auszuhalten. Daher die Flucht in die Berge, um abzuschalten, den Kopf freizublasen und mich nach drei Monaten Bergentzug wieder daran zu erinnern, warum Shanti Treks mein Traum ist und ich auf dem richtigen Weg bin.

Das Bodenschneidhaus liegt am Fuße des gleichnamigen Berges auf 1353 Höhenmetern inmitten der Tegernseer Alpen. Die Alpenvereinshütte wird liebevoll von einem netten Ehepaar mit freundlichem Hüttenteam geleitet, welches immer wieder Zeit für einen netten Plausch oder Wandertipps in der Umgebung hat. Mit seinen 50 Schlafplätzen über zwei Stockwerke ist die Hütte im Vergleich eher klein und daher richtig urig und gemütlich. Bei Vollauslastung sorgt ein kleiner Anbau dafür, dass in der Gaststube alle einen Platz finden.

Zwischen den Jahren ist es eher ruhig in den Tegernseer Alpen, sodass mich nur ein paar Augenpaare verdutzt angucken, als ich kurz vor Dunkelheit die Gaststube betrete. Ich bin jedes Mal wieder ein wenig nervös, wenn ich allein auf eine Hütte komme. Weiß ich doch die Fragen, die vielen Bergmenschen bei meinem Anblick durch den Kopf gehen. Diesmal war der Anstieg über den Fahrweg vom Tegernsee jedoch vergleichsweise einfach, sodass man auf das Bodenschneidhaus durchaus auch im Winter problemlos aufsteigen kann. Meilo, der Hüttenhund, begrüßt mich freundlich als ich fröhlich am Bodenschneidhaus ankomme.

Frauen allein am Berg

Mein Bett habe ich einfach über das Hüttenreservierungsportal gebucht, in dem viele Alpenvereinshütten vertreten sind und man einen Überblick über die freien Betten in Zwei- und Mehrbettzimmern sowie Matratzenlagern bekommt. Da die Hütten oft monatelang im Voraus ausgebucht sind, aber in der Regel bis ein paar Tage vorher noch kostenlos storniert werden können, zeigt eine neue Webseite des Alpenvereins, Last-Minute-Hüttenbett, auch noch kurzfristig freie Betten im Alpenraum an. Michi* begrüßt mich an der Theke freundlich und weist mich in die wichtigsten Infos der Hütte ein. Das Abendessen gleich von der Karte wählen, die Rechnung vor dem Schlafengehen begleichen,  Ausrüstung in den beheizten Trockenraum, Waschraum im ersten Stock und mein Lager im zweiten Stock. Nun habe ich noch ein wenig Zeit mich frisch zu machen und es mir am beheizten Ofen gemütlich zu machen. Duschen gibt es keine, also gibt’s heute nur Katzenwäsche. Das kommt auch der Umwelt zugute, denn Wasser am Berg ist oft rar und Abwasser muss mühsam ins Tal abgepumpt werden. Auch beim Trinkwasser nehmen es die Behörden ganz genau, sodass an den Waschbecken „Kein Trinkwasser“ Schilder angebracht sind. Der Hüttenwirt erklärt mir allerdings, dass das Wasser aus der Leitung aus einer Quelle kommt, lediglich nur nicht viermal gefiltert und UV-bestrahlt ist (oder so ähnlich). Vom Ordnungsamt abgesegnetes Wasser gibt’s für ein paar Euro an der Theke.

Frauen allein am Berg sind immer noch etwas Besonderes und so dauert es nicht lange und ich komme schnell mit den verschiedenen Hüttengästen ins Gespräch. Mir ist aber gar nicht so nach Austausch und daher hole ich mir ein paar Bergzeitschriften aus der Bücherecke, stöbere nach neuen Touren und beobachte das Geschehen in der Hütte ein wenig. Am Nachbarstisch sitzt ein Ehepaar mit sechs Kindern. Die Tochter hat sich einen Hüttenbesuch zum Geburtstag gewünscht und ihre Freundinnen eingeladen. Die Eltern manövrieren die Kids mit einer Gelassenheit durch den Hüttenabend, die man im Tal selten sieht. Als sich die Geburtstagsparty nach dem Essen in den Nebenraum verlegt und den hütteneigenen Brettspieleschrank plündert, freue ich mich ein bisschen über die wiedereinkehrende Ruhe am Kamin.

Bester Kaiserschmarrn

Beim Einchecken hat Michi mir eine kleine überschaubare Abendkarte vorgelegt, von der ich mein Essen wählen konnte. Von den drei Hauptgerichten sind zwei vegetarisch und auch eine der  beiden Suppen ist vegetarisch. Auf Nachfrage gibt es mit dem Erbseneintopf auch immer ein veganes Gericht, falls gewünscht. Zum Nachtisch gibt es eine kleine Portion Kaiserschmarrn. Für mich als Alleinwandernde eine Besonderheit, da die Portionen meist so groß sind, dass man sie sich teilen muss und ich so nie in den Genuss komme. Der Hüttenwirt macht diesen persönlich und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Leicht karamellisiert und fluffig innen drin, wird er zu einem der Besten, die ich auf Hütten gegessen habe. Über das Kompliment freut sich auch Michi und gibt es gern an die Küche weiter.

Hüttenruhe ist auf den Alpenvereinshütten eigentlich erst um zehn, aber an diesem Abend leert sich die Gaststube schon deutlich früher und das Hüttenteam findet einen Moment sich zusammenzusetzen und den Feierabend zu genießen. Ein Anblick, den man selten erlebt. Oft geht es für das Team in einem durch von morgens vor dem Frühstück bis sie abends ins Bett fallen. Auf dem Bodenschneidhaus geht es zwischen den Jahren etwas gemütlicher zu und diese Ruhe geht langsam auch auf mich über.

Müde vom Aufstieg verabschiede ich mich auch und beziehe mein Lager. Der Sonnenaufgang in den Bergen ist in diesen Tagen erst um acht Uhr und Frühstück gibt es bis neun, sodass sich eine Tour auf den Hausberg, den Bodenschneid, vor dem Frühstück gerade so ausgeht. Sich allein im Dunklen aus dem Bett zu quälen ist immer eine Überwindung, aber der Sonnenaufgang ist in diesen Tagen  besonders schön. Mal gucken, ob ich mit tatsächlich überwinden kann.
* Name geändert.