
Mare E Monti
Fernwandern auf Korsika
Die Tränen kamen nicht
„Ok", hab ich mir gesagt, „wenn Du möchtest, dann kannst Du jetzt weinen.“ Aber die Tränen kamen nicht. Es war erst der dritte Tag auf meiner sechsttägigen Tour auf dem Fernwanderweg „Mare e Monti“ im Nord-Westen Korsikas und irgendwie lief das alles nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich war gerade ziemlich mühsam einen steilen Hügel mit meinem 20-Kilo Rucksack hochgelaufen, im Geröll auf der anderen Seite ausgerutscht und auf dem Hosenboden gelandet. Dabei hatte ich mir nun auch noch den Ellenbogen aufgeschürft. Außerdem hatte ich noch nicht mal die Hälfte des Tagespensums geschafft und wollte am liebsten jetzt schon angekommen sein. Langsam fragte ich mich, was ich hier eigentlich machte, und fand es was einen adäquater Moment meiner Frustration freien Lauf zu lassen. Aber die Tränen kamen nicht.



Déjà-vu
Während ich mitten auf dem Wanderweg saß, hatte ich ein Déjà-vu, als ich 2018 um die Annapurna in Nepal gewandert bin. Damals wollte ich dreißig Tage unterwegs sein und gab schon nach ein paar Tagen fast auf. Es war so anstrengend mit dem schweren Rucksack zu wandern und ich war so langsam. Ich konnte den Weg gar nicht richtig genießen, weil ich so darauf fokussiert war, wie schnell die anderen Wandernden waren und war ziemlich frustriert. Es hat fast eine ganze Woche gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, dass man beim Weitwandern einfach nicht schnell vorankommt und man Zeit und Geduld braucht. Sobald ich das verinnerlicht hatte, war ich gefühlt viel schneller und kam langsam aber steig an mein Ziel.



Einen Gang runterschalten
Im Nachhinein war ich etwas verblüfft, dass die Tränen nicht gekommen sind. In den Monaten zuvor gab es genug Momente, wo mich Emotionen überwältigt haben, weil mich meine Entscheidung und deren Konsequenzen überforderten. Auf dem Wanderweg frustriert sitzend hat sich bei mir ein Schalter umgelegt und mir kam die leise Ahnung, dass das Schlimmste geschafft ist – die Entscheidung getroffen zu haben. Jetzt muss ich nur lernen den Weg, für den ich mich entschieden hatte, zu genießen.



Weltkulturerbe im Herzen Korsikas



Am Ende den Moment genießen
In einer so schnelllebigen Welt hilft Fernwandern mir, mich wieder auf das zu konzentrieren, was mir im Leben wichtig ist. Wo Zeit unsere knappste Ressource ist, werde ich gezwungen, langsamer zu werden und daran erinnert, dass das Erreichen von Zielen Geduld erfordert. Es verschafft Raum, über all das nachzudenken, was ich unterbewusst verdränge. Das ist zwar nicht immer einfach, aber am Ende fühlt es sich sehr befreiend an.
Ich bin voll erholt nach Hause gekommen, habe meine Ehrgeiz hinterfragt und meine Ziele neu ausgerichtet. Während ich zu Beginn ein wenig Angst davor hatte, Shanti Treks aufzubauen, freue ich mich auf die Herausforderung. Und nachdem mir klar geworden ist, dass ich viel zu sehr damit beschäftigt war, mich der Welt zu beweisen, fokussiere ich mich jetzt darauf, die Reise zu genießen und zu sehen, wohin sie führt.

