Das heilige Tsum Tal

"Messe Deinen Erfolg daran, was Du aufgeben musstest, um ihn zu erreichen.."

-  His Holiness, the Dalai Lama -

Ein RĂ¼ckblick wie alles began

Ich schaue meiner Freundin tief in die Augen, umarme sie ein letztes Mal, winke ihr nach und schon verschwindet das Taxi in den kleinen Straßen von Kathmandu. Aus den Augen, aber niemals aus dem Sinn. Wir versprechen uns, dass wir uns bald auf ein nächstes Abenteuer wiedersehen. Mein letzter Tag in meiner ersten Wandersaison als hauptberufliche Bergwanderführerin und Inhaberin meines eigenen Reiseunternehmens. Ich sitze hier in Tränen, unfähig, all die schönen Momente, Erinnerungen und Erfahrungen der letzten drei Wochen zu verarbeiten, geschweige denn der letzten acht Monate. Und doch fühle ich mich tiefenentspannt und in Frieden. Nur acht Monate - es fühlt sich an wie die intensivste Zeit meines Lebens, in der ich jeden Moment in vollen Zügen genossen habe.

Ich muss mich immer wieder daran erinnern, dass dies jetzt mein Leben ist. Ein Leben, für das ich in den letzten fünf Jahren hart gearbeitet habe, aber ein Leben, das sich anfühlt, als hätte es schon immer auf mich gewartet. Wenn man mich fragt, weiß ich, dass ich nie wieder in einen Bürojob zurückkehren werde. Egal, wie hart der Weg ist, der vor mir liegt, ich werde mich immer dafür entscheiden, wild und frei zu sein, meinen Träumen zu folgen und zu versuchen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Manche mögen das naiv finden, aber für mich ist das das einzige Leben, das ich leben will.

Das ist es, was die Berge mit dir machen - sie lassen dich über den Horizont hinausschauen. Du erkennst, dass es da draußen noch so viel mehr zu erleben gibt und dass deinem Potenzial keine Grenzen gesetzt sind, wenn du dich darauf konzentrierst. Für eine Frau, die immer in einem von Männern dominierten Umfeld gediehen ist, sind die Berge befreiend und beruhigend zugleich, dass man zu so viel mehr fähig ist, als man denkt. Das ist es, was das Reisen mit einem macht - es bringt einen dazu, über den Tellerrand zu schauen, sein Leben zu hinterfragen und große Träume zu haben. Oft habe ich gehört, ich würde vor dem Leben davonlaufen. Aber ich habe gemerkt, dass ich durch das Reisen, das Entdecken neuer Orte, das Kennenlernen anderer Kulturen und die Begegnung mit außergewöhnlichen Menschen immer in Richtung eines außergewöhnlichen Lebens gelaufen bin. Und nach so vielen Jahren habe ich das Gefühl, dass ich endlich ankomme.

Wenn Menschen in Dich vertrauen

Es kommt mir nur wie Augenblick vor, dass ich fünf mutige Menschen in Kathmandu begrüßt habe, die mit mir den unglaublichen Himalaya auf meinem ersten Shanti-Trek in Nepal erkunden wollten, und ich fühle mich geehrt. Was vor fünf Jahren als Idee begann, als ich allein um die Annapurna-Bergkette im Westen von Kathmandu wanderte, ist nun Wirklichkeit geworden. Damals war ich etwas verloren und war gerade dabei mich selbst wieder zu finden. Fünf Jahre später weiß ich genau, wo ich hingehöre, und meine Gruppe von Gästen schaut mich gespannt an, was vor uns liegt.

Ein trauter Freund

Zum Glück habe ich Surya bei meinem ersten Besuch in Nepal im Jahr 2019 über eine Freundin kennengelernt, der mir damals auf meiner Solo-Reise immer wieder mit Infos und Tipps geholfen hat und der in den nächsten drei Wochen unser Guide sein wird. Im Laufe der Jahre des Reisens habe ich gelernt, die Energien der Menschen zu spüren. Als ich Surya damals in Kathmandu kennen lernte, wusste ich sicherlich nicht, dass ich eines Tages eine Tour mit ihm führen würde, aber ich spürte seine warme Ausstrahlung und wusste, dass ich mit ihm in Kontakt bleiben wollte. Das Vertrauen in mein Bauchgefühl hat mich nicht enttäuscht. In den Monaten der Vorbereitung dieser Tour war Surya unglaublich geduldig mit all meinen Fragen und hat mich bei der Zusammenstellung der Route tatkräftig unterstützt.

Im Vorfeld hatte ich tagelang online recherchiert, Blogs gelesen und Bücher bestellt, um eine tolle Route zusammenzustellen, doch ohne Suryas über 30-jährige Trekkingerfahrung wäre ich kläglich gescheitert. Er kennt die Tour nicht nur wie seine Westentasche, sondern ist auch mit den Besitzern sauberer und gemütlicher Teehäuser befreundet, kennt versteckte Klöster, in dene es sich lohnt zu übernachten, und führt uns zu den schönsten und verstecktesten Aussichtspunkten auf dem Weg. Außerdem ist er unglaublich witzig und begrüßt uns jeden Morgen mit einem breiten Lächeln, ohne jemals gestresst zu wirken, egal wie die Situation ist. Am wichtigsten für mich war, dass ich seinem umfassenden Wissen und seiner Erfahrung vertrauen konnte, da ich wusste, dass er seine Entscheidungen immer zum Wohle der Gruppe traf. Da ich nicht im Himalaya zu Hause bin, war es für mich von unschätzbarem Wert, einen Freund wie ihn an meiner Seite zu haben. Daher gab es für mich fast nichts mehr, worüber ich mir Sorgen machen müsste.

Abseits der Hauptroute

Mit wenig Aufwand haben wir eine Trekkingroute zusammengestellt, die besonderer als das übliche Angebot ist und abseits der ausgetretenen Pfade verläuft. So kontten wir die Ruhe und Stille dieser majestätischen Berge zu spüren, obwohl wir uns auf einer mittlerweile beliebten Trekking-Route in Nepal befanden. Darin sind sich Surya und ich sehr ähnlich – wir sehen das Führen in den Bergen als Leidenschaft und nicht als Arbeit. Und obwohl wir uns bewusst sind, dass wir von unserer Arbeit leben müssen, ist es unser größter Erfolg, unvergessliche Bergerlebnisse für alle Beteiligten zu schaffen. Ich kann mit Stolz sagen, dass uns das gemeinsam gelungen ist.

Ein besonderer Ort

Nachdem wir ein paar Tage gewandert waren, verließen wir die ausgetretenen Pfade und betraten das Tsum-Tal. Nach dem Glauben der Buddhisten ist es heilig, für mich ist es das schon allein aufgrund seiner schieren Schönheit und der lebendigen Energie, die man hier spürt. Wir wanderten durch Dörfer, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein schien, und trafen auf glückliche Einheimische, die mit ihrem einfachen Leben zufrieden zu sein schienen. Dennoch hatte Surya viele Erkenntnisse geteilt, wie schwer das Leben hier in der Einsamkeit sein kann, z. B. bezgüglich der Bildung für die junge Generation oder der Gesundheitsversorgung an einem so abgelegenen Ort.

Eine festliche Jahreszeit

Ich hatte speziell geplant, im Oktober zu kommen, in der Hoffnung, an den jährlichen Feierlichkeiten teilzunehmen, die in den Klöstern des Tals stattfinden, sobald der Großteil der Ernte eingebracht ist. Dabei war Korma, einer unserer Träger, der aus einem der Dörfer im Tal stammte, von unschätzbarem Wert. Surya hatte ihn mitgenommen, um einen Teil seiner Einnahmen lokal zu verteilen, aber auch, weil er die lokale Sprache spricht, daher über die Feierlichkeiten Bescheid wusste und Zugang zu verschlossenen Klöstern und Schreinen erhalten konnte. Wir wurden auch zu ihm nach Hause eingeladen, um seine Familie bei Tee und Arak, dem lokalen Alkohol, kennenzulernen, was unseren Abstecher ins Tsum-Tal zu einem wirklich einzigartigen Erlebnis machte.

Kultur und Brauchtum hautnah miterleben

Einer meiner Highlights war eine Puja, also ein Gottesdienst, im neu renovierten Tsum-Kloster in Lamagaun, wo etwa zwanzig Mönche religiöse Texte rezitierten, während wir in tiefer Meditation unter den Einheimischen saßen. Die Mönche, die ihre Instrumente spielten, lösten bei mir eine Gänsehaut aus und ich kann ihre Gesänge noch immer hören, wenn ich die Augen schließe.

Eine Nacht im Kloster

Am Ende des Tsum-Tals liegt auf 3800 Metern ein kleines Kloster, Mu Gompa. Die Unterkunft ist spartnanisch, die Nächte sind kalt und das Essen ist einfach, weshalb die meisten Guides ihre Gäste davon überzeugen, nur aus dem nächstgelegenen Dorf für einen Tagesbesuch zu kommen. Dennoch hatte ich dort eine Übernachtung geplant und Surya ermutigte die Gruppe, diesen Plan zu verwirklichen, da es ein wirklich besonderer Ort sei. Und er hatte so recht! Wir kamen am Nachmittag an und machten uns in der Abendsonne nochmals auf den Weg zu einer Wanderung in den Hügeln rund um das Kloster. Zu dieser Tageszeit ist das Licht etwas ganz Besonderes und die untergehende Sonne ließ die schneebedeckten Berge noch magischer erscheinen.

Nach unserer Rückkehr schlossen wir uns dem Abendgebet der Mönche an, das wieder sehr meditativ war. Am Ende genossen wir das beste Dhal Bat, also das nepalesische Nationalgericht, der gesamten Wanderung und wurden mit einem unglaublichen Nachthimmel beschert. Nach zwei Sternschnuppen ging ich glücklich zu Bett und war gespannt, was die zweite Hälfte unserer Wanderung, der Manaslu Circuit, wohl bringen würde.