Dolomiten Traum

Wandern auf dem Höhenweg

Irgendwo zwischen dem Anfang des Aufstiegs und dem Gipfel liegt die Antwort darauf, warum wir Berge besteigen.
- Greg Child -

Jemand zu der man aufgeschaut hat

Meine Schwester schrieb mir, während ich eine Trekkingtour in den Dolomiten leitete. Ob ich von dem Unfall einer der bekanntesten und herausragendsten deutschen Bergsteigerinnen gehört hätte. Bei kaum vorhandener Handyverbindung hatte ich das nicht. Meine erste Reaktion war, es abzutun. Es wird schon alles gut gehen, dachte ich.

Ein harter Schlag der Realität

Die Nachricht über Laura Dahlmeiers Tod einen Tag später traf mich hart. Sie war eine erfahrene Bergsteigerin, voller Achtsamkeit, mit einem feinen Gespür für den Berg. Sie wusste, was sie tat. Und doch ist sie durch plötzlichen Steinschlag verunglückt – ein Risiko, das man in den Bergen nie ganz ausschließen kann. Ein solches Unglück ist immer schwer zu begreifen. Ich spürte die Zerbrechlichkeit des Gleichgewichts, in dem wir uns hier oben bewegen. Die Berge sind majestätisch, ja. Aber sie sind auch wild, unberechenbar und manchmal gnadenlos. Nach meiner Rückkehr von der Tour las ich ein Interview mit Reinhold Messner. Er sagte, dass Bergsteiger*innen wie er und Dahlmeier in einer eigenen Welt lebten. Einer Welt voller Widersprüche, die die meisten Menschen niemals ganz verstehen werden. Und doch muss eine Leidenschaft gelebt werden. Picasso sagte einmal: Der Sinn des Lebens besteht darin, seine Leidenschaft zu finden – der Zweck des Lebens besteht darin, sie weiterzugeben. Jemand sagte mir einmal, wie glücklich ich mich schätzen könne, meine gefunden zu haben. Ich wanderte die Woche mit mehr Demut als zuvor weiter. Meine Gedanken kreisten immer wieder um die Tragödie. Jeder Schritt war eine stille Erinnerung daran, wie schnell sich in den Bergen alles verändern kann, wie flüchtig unsere Wege wirklich sind.

Ein harter Kontrast

Gerade weil Laura Dahlmeier so erfahren, so umsichtig und verantwortungsvoll war, erschütterte mich ihr Tod umso mehr. Sie war nicht leichtsinnig, sie kannte die Berge, ihre Gefahren – und hatte tiefen Respekt vor ihnen. Dass sie durch einen plötzlichen Steinschlag ums Leben kam, war schwer zu fassen. Es schien so widersprüchlich: Eine, die wusste, was sie tat, und mit Bedacht ging – und dennoch ist was passiert. Vielleicht war es genau dieser Kontrast, der mich während meiner Tour so beschäftigt hat. Einerseits wurde ich daran erinnert, wie still und ernsthaft das Leben in den Bergen sein kann. Andererseits erlebte ich unterwegs so viel Unachtsamkeit und vor allem Ahnungslosigkeit wie noch nie zuvor.

Eine der beliebtesten Routen der Alpen

Die Alta Via ist mittlerweile eine der beliebtesten Weitwanderrouten der Alpen – und mit dieser Beliebtheit kommen auch Konsequenzen. Die Dolomiten sind beliebt wie nie und damit die Wege voller denn je. Immer mehr Menschen kommen unvorbereitet – körperlich, mental und auch was das Verhalten betrifft. Zum ersten Mal hatte ich das Bedürfnis, andere Wandernde zu fragen, ob es ihnen gut gehe. Ich wurde Zeugin riskanter Überholmanöver auf schmalen Wegen und sammelte mehr Zigarettenstummel und Bananenschalen auf als mir lieb ist. Wandernde mit voller Campingausrüstung und fliegenden Drohnen – beides verboten im Naturpark – sind inzwischen ein gewohntes Bild. Es tut weh, zu sehen, wie achtlos mit unseren Bergen umgegangen wird.

Abseits der ausgetretenen Pfade

Und dennoch – die Schönheit ist noch da, wenn man weiß, wo man sie suchen muss. Ich habe im Vorfeld unsere Route etwas anders gewählt, und bin wann immer möglich auf weniger bekannte Hütten ausgewichen. So erlebten wir sie doch noch, die stillen, nebligen Morgen, wenn die Sonne hinter den bleichen Türmen aus Kalkstein aufgeht. Wir hörten das Schweigen zwischen den Schritten, den Atem der Gruppe, den fernen Pfiff eines Murmeltiers. Die Alta Via Uno ist ein Meisterwerk – aber wie jedes große Kunstwerk offenbart sie sich nur denen, die sie mit Respekt betrachten. Man muss sie mit Achtsamkeit gehen, nicht mit Konsumgedanken.

Wunschlos zufrieden

Was diese Tour jedoch unvergesslich machte, war die Gruppe, die ich begleiten durfte. Anfangs waren sie alle Fremde, die ich behutsam darin unterstützte, zu einem Team zusammenzuwachsen. Eine war bereits zum dritten Mal mit mir unterwegs, die anderen zum zweiten. Im Laufe der Woche, im Rhythmus langer Tage und geteilter Anstrengung, entfaltete sich etwas Besonderes. Ich forderte sie heraus, genau hinzusehen – wo Vorsicht nötig ist, wo Wachstum möglich wird und wie man Angst nicht vermeidet, sondern ihr bewusst begegnet. Gemeinsam arbeiteten wir daran, ein Gespür für gute Entscheidungen zu entwickeln, den Respekt vor dem Gelände zu vertiefen und Selbstvertrauen im Umgang mit der eigenen Angst zu gewinnen. Ich sah, wie sie feierten, wie weit sie gekommen waren – körperlich wie emotional. Ich hielt den Raum, in dem diese Veränderung möglich war. Und am Ende sprachen einige bereits davon, sich im nächsten Jahr auf der Alpenüberquerung wiederzusehen. Zum Abschied umarmte mich eine von ihnen fest und sagte: „Das war das schönste Erlebnis, das ich dieses Jahr hatte.“ Was könnte ich mir mehr wünschen?

Kein Beruf, sondern Berufung

Bergwanderführerin zu sein ist ein Beruf voller Schönheit und Verantwortung. Es geht nicht nur darum, Menschen den Weg zu zeigen, sondern ihnen vorallem zu zeigen, wie sie sich mit Achtsamkeit, mit Demut und mit einem Bewusstsein für ihre Grenzen in den Bergen bewegen. Denn die Berge sind keine rosa Postkartenmotive. Sie sind rau, wild und lebendig. Situationen können sich jederzeit ändern. Die Berge können uns Frieden, Wandel und tiefe Freude schenken – aber nur, wenn wir ihnen mit Respekt begegnen. Und doch ist am Ende manchmal selbst Respekt nicht genug. Die Berge verhandeln nicht. Sie unterscheiden nicht zwischen Erfahrenen und Unerfahrenen, zwischen gut Vorbereiteten und Sorglosen. Sie sind einfach. Genau deshalb zählen unsere Wachsamkeit, unsere Demut und unsere Präsenz so sehr. Heute fühlt sich meine Arbeit zerbrechlicher an denn je – und zugleich wichtiger, als ich bisher dachte.

Ein Blick nach vorn

Und für alle, die sich jetzt schon zurücksehnen – nach der Stille der Höhenwege und dem goldenen Licht auf den Kalksteinwänden – im September geht es wieder in die Dolomiten. Durch das Herz des Rosengartens (alle Infos hier), wo die Felsen im Abendlicht erröten und der Pfad sanft zwischen Vergangenheit und Gegenwart verläuft. Ich werde dort sein. Vielleicht du auch.

Lass uns gemeinsam in die Berge gehen.